09 Okt., 2025

Wie Kinder das einander zu passen sicher nicht lernen werden

Autoren
Frank Thömmes
Wie Kinder das einander zu passen sicher nicht lernen werden

Folgende Situation findet sich auf fast jedem Fußballplatz beim Training der Jüngsten: Wir sind in einer Gruppe Fußball spielender Kinder und immer wieder ruft ein Kind dem ballführenden Kind lautstark zu „Pass, pass, pass“. Dieses Verhalten wird meistens zuerst vom Trainer oder Eltern und dann nachahmend auch von den anderen Kindern genutzt.

Die (gute) Absicht ist klar: Man möchte dem jungen Kicker helfen, taktisch eine bessere Entscheidung zu treffen, um den Ball mit weniger Gegnerdruck nach vorne zu spielen und dann evtl. ein Tor zu erzeilen. Doch ungünstigerweise ist diese gut gemeinte Aufforderung im Kinderfußball nicht nur unnötig, sondern sogar völlig kontraproduktiv für die Situation und das Erlernen des Passens selbst.


Die Gründe dafür sind die folgenden

  • Kinder im Alter von 4-6 Jahren lernen erst vom Ich-zentrierten Spiel hin zur Interaktion mit anderen und der Umgebung und dieses Tempo kann man nicht pushen, vor allem nicht mit dem Ruf „Pass“.
  • Diese Zurufe hemmen die eigene Entscheidungsfindung. Fußball ist ein Spiel, das schnelle Entscheidungen unter Druck erfordert. Der Ruf "Pass!" liefert dem Kind keine Information darüber, wohin oder warum es passen soll. Er suggeriert lediglich, dass der Ball wegmuss. Der ballführende Spieler wird dabei selbst zum Befehlsempfänger. Anstatt die Situation selbst zu scannen, einen freien Mitspieler zu erkennen und die beste Option (Dribbeln, Schießen, Passen) zu wählen, wartet das Kind unbewusst auf Anweisungen von außen. Wenn Kinder über solche Kommandos ferngesteuert werden, entfällt der Lerneffekt. Kinder lernen nur, wenn sie eigene Erfahrungen machen – auch Fehler. Wenn der Trainer die Entscheidung abnimmt, lernt das Kind nicht, die Situation selbst zu analysieren.
  • Es erzeugt unnötigen Druck. Gerade bei den Jüngsten führt der laute und häufige Ruf von außen zu Stress und Verunsicherung. Das Kind hat das Gefühl, etwas falsch zu machen oder in Gefahr zu sein. Anstatt den Blick zu heben und das Spielfeld zu überblicken, konzentriert sich die ganze Energie darauf, den Ball schnellstmöglich loszuwerden. Das führt oft zu ungenauen, überhasteten Pässen ins Aus oder direkt zum Gegner oder im schlimmsten Fall gar zur Vermeidung von Ballkontakten.
  • Es stört die Konzentration. Der Ruf "Pass!" lenkt den Spieler im entscheidenden Moment ab. Anstatt sich auf die Ballführung, das Dribbling oder die Körpertäuschung zu konzentrieren, wird die Aufmerksamkeit nach außen auf die Trainerbank oder die Zuschauermenge gelenkt. Das ist eine massive Störung des Flow-Zustands und der natürlichen Bewegung.


Was ist die bessere Alternative, um das Zusammenspiel zu fördern?
Die Lösung liegt in der Förderung der Eigenverantwortung und Wahrnehmung der Kinder. Der Trainer sollte dabei Beobachter und Ruhepol sein. Das Spiel ist anstrengend genug für die Kinder. Anweisungen sollten vor dem Spiel, in der Halbzeitpause oder im Training gegeben werden – nicht mitten in der Aktion und auf gar keinen Fall als Dauerbeschallung. Das Vokabular des Coaches sollte eher fragend und hinweisend sein. Wie  "Schau dich um!" oder "Wo sind weniger Gegenspieler?" oder von Mitspielern „ich bin frei“ oder „hier bin ich“.


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Kleine Kinder spielen nicht primär Fußball, um zu gewinnen, sondern weil es Ihnen Spaß macht. Trainer wollen leider meistens eher gewinnen. Geben Sie den Kindern das Vertrauen, eigene Entscheidungen zu treffen und Fehler zu machen. Ein schlechter Pass oder ein misslungenes Dribbling sind die besten Grundlagen für das Lernen in der nächsten Spielaktion.

Fazit
Der Ruf "Pass!" ist ein Relikt einer längst überholten Coaching-Mentalität im Kinderfußball. Er raubt den Kindern die Chance, kreative, selbstbewusste und eigenständige Spieler zu werden.

Dies gilt vor allem auch für über engagierte Väter, die ihre Kinder gerne auf dem Feld fernsteuern und davon ausgehen, dass das Kind das gleiche sieht wie sie.  Dem ist aber nicht so. Lassen wir die Kinder spielen, wahrnehmen und selbst entscheiden – das ist die beste Pass-Schule.

Fußball, Eltern, Lernen, Psychologie
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